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Majana, mein erstes eigenes Pferd

Im Frühjahr 2006 war ich auf der Suche nach einer Reitalternative. Bis dato nahm ich einmal die Woche Reitunterricht in einem klassischen Reitstall. Die Stute, die ich dort meistens ritt und zu der ich eine liebevolle Beziehung aufgebaut hatte, war nicht mehr die Jüngste. Sie hatte oft angelaufene Beine, wenn ich sie aus der Box holte. Ich war mit meinen jugendlichen 17 Jahren, 1,60m Kampfgröße und schätzungsweise gut 50kg Körpergewicht die älteste, größte und schwerste Reitschülerin, die noch auf ihr Unterricht nahm. Meistens musste ich "korrigieren", was die kleinen Mädchen noch nicht händeln konnten (zum Beispiel Ecken ausreiten). Immer öfter tat mir die Stute leid. Meinem Gefühl nach konnte sie nicht mehr so viel leisten. Ein bisschen durch die Halle wackeln mit den Kleinen, in Ordnung, aber ich empfand mich selbst als zu schwer und wollte sie schonen. In meiner jugendlichen Naivität dachte ich: "Wenn ich nicht mehr komme, muss sie jede Woche eine Stunde weniger arbeiten. Oder zumindest kommt dann ein kleineres, leichteres Kind nach."

Von der klassischen Reitschule zur ersten Feld-Wald-Wiesen-Reitbeteiligung

Also schaute ich mich nach einer Alternative um, denn das Reiten und die Pferde ganz aufgeben wollte ich nicht. "Zufällig" (eben weil es fällig war, fiel es mir zu) trafen meine Mutter und ich beim Reithosen-Einkauf ein bekanntes Paar, das selbst ein Pferd hatte. Und deren damalige Stallbesitzerin wiederum eine Reitbeteiligung suchte. Sie versprachen meine Nummer weiterzugeben. Und dann geschah - erstmal nichts. Die Frau meldete sich erst Wochen später. Zwischendurch dachte ich, ich müsse das Reiten doch aufgeben, denn keins der anderen Pferde in der Reitschule sprach mich an und eine andere Reitschule, die mir zusagte, fand ich auch nicht. Als eines Tages doch noch das Telefon klingelte war schnell klar, dass ich Majana kennenlernen sollte.

Im Juni 2006 fuhr mich also meine Mutter mit weichen Knien zum Haus, in dem Majanas Besitzerin lebte. Diese erklärte, dass die Pferde auf der Koppel seien und wir dort jetzt hinfahren würden. Meine Mutter sollte mich später wieder abholen.

Ich könnte dir jetzt erzählen, dass da mein absolutes Traumpferd stand, als ich aus dem Auto ausstieg. Dass wir sofort ein Herz und eine Seele waren und es da diese tiefe Verbindung zwischen uns gab. Aber ganz ehrlich: das wäre gelogen. Da stand ein kleines Pony mit weißer Blesse unter einem Apfelbaum, scheinbar nicht sonderlich beeindruckt über unsere Ankunft. Ihre Besitzerin erklärte: "Das da oben, die mit der leuchtend-roten Nase, das ist Majana." Tatsächlich strahlte uns die eigentlich weiße Nase in tiefrosarot entgegen. Klassischer Sonnenbrand. Ja, das gibt es auch bei Pferden. Hab ich an diesem Tag gelernt ☺

Die ersten Ritte auf Majana klappten ganz gut. Auf dem Reitplatz kamen wir in allen drei Grundgangarten außen herum. Immerhin! Das war nicht so schlecht für jemanden wie mich, die bisher ausschließlich Schulpferde geritten hatte. Also ging es eines Tages ins Gelände. Es war der erste oder zweite Ausritt in der Gruppe, an dem mir ziemlich deutlich klar wurde, dass dieses Pony eben kein routiniertes (oder resigniertes?!) Schulpferd war. Wir bogen von einem Feldweg ein auf eine Obstbaumwiese und wurden plötzlich von einem ganzen Schwarm Bremsen überfallen.

Das erste eigene Pferd, Majana
Majana im August 2006

Rodeopony statt braves Schuldpferd

Majana fand das gar nicht lustig, schlug einmal wild und sehr energisch mit dem Schweif und galoppierte los. Wir rollten das Feld von hinten auf, sprengten die ganze Formation und schossen an der Gruppe vorbei. Majana dachte wohl, wenn sie schon dabei ist die Bremsen abzustreifen, könnte sie das mit dem Kind auf ihrem Rücken auch gleich mal versuchen. Sie tauchte so knapp unter den Ästen durch und an den Bäumen vorbei, dass mir zum Teil nichts anderes übrig blieb, als mich nach hinten auf ihren Po zu legen. Ja, nach vorne wäre schlauer gewesen, aber so reaktionsschnell war ich damals noch nicht ☺ Irgendwann fand sie glücklicherweise fressen besser, hielt an und steckte den Kopf ins Gras. Ich saß noch oben, schweißgebadet, mit Wackelpudding in den Knien, aber irgendwie auch stolz, dass sie mich nicht abgesetzt hatte.

Bilanz des Ausritts: Eine verbogene Brille, ein aufgeschürfter Hals und eine leicht entsetzte Mutter, weil sie ihr Kind leicht demoliert abholen musste. Aber auch eine über das ganze Gesicht strahlende Heike, weil wir nach der Rodeoeinlage noch in einem nahegelegenen Bach baden waren. Mit den Pferden!!! Premiere für mich und schlauer Schachzug von der Besitzerin. Davon wollte ich nämlich unbedingt mehr, auch wenn mir damals schon dämmerte, dass dieses Pony irgendwie keinen Vertrag mit dem Gerittenwerden - oder überhaupt mit den Menschen - hatte.

Von der Reitbeteiligung zum ersten eigenen Pferd
Unser erster Reitlehrgang im Oktober 2006

Auch unser erster Reitlehrgang auf dem heimischen Reitplatz war eher eine Katastrophe. Majana machte alles - nur nicht das, was ich wollte. Ich konnte keine liegende Acht um zwei Hütchen reiten, hatte keine Chance. Sie ignorierte gnadenlos jede meiner Hilfen, obwohl ich heute sicher bin, dass sie mich sehr wohl verstanden hat. Sie wollte nicht, einfach aus Prinzip.

Viele Buckelausritte später fragte ich mich manchmal immernoch, was zur Hölle mich geritten hatte, dass ich es allen Ernstes mit DIESEM Pferd aufnehmen wollte. Das fragte ich mich in den folgenden Jahren überhaupt des Öfteren. Majana machte überdeutlich klar, dass sie keine Lust auf meine Gesellschaft hatte. Insgesamt hatte sie keine Lust auf irgendjemandes Gesellschaft. Lange Zeit war sie "übrig" gewesen, hatte keinen regelmäßigen, festen Ansprechpartner gehabt. Da wird man eigensinnig, nicht nur als Pony ☺ Aber irgendwie stand aufgeben und hinschmeißen nie zur Debatte. Auch wenn dieses Rodeopony mich sehr oft hinschmiss. In die einzige Pfütze auf dem Reitplatz zum Beispiel. Oder bergab quer über die Wiese. Oder rücklings in den Schnee...

Zu Beginn war ich einfach erstaunt, verblüfft und auch ein bisschen geehrt darüber, wie frei und selbstständig ich - von der Besitzerin aus - mit ihr agieren durfte. Und wie offen und herzlich mich die Stallgemeinschaft aufnahm. Irgendwann war es Gewohnheit. Und irgendwie schlug mein Herz auch ganz schön für dieses kleine, wilde Pony, das sich einfach traute, sein Ding durchzuziehen.


Ich bekam dann doch auch relativ schnell gutes Feedback. "So lieb ist sie sonst nie" oder ein etwas erstauntes "Das klappt ja mit euch!". Ja, ich hätte die Zeichen deuten können ☺ - denn offenbar war das bisschen, das gut geklappt hat zwischen uns, schon außergewöhnlich für Majana... Aber es war dann irgendwie auch schon zu spät für einen Wechsel. Irgendetwas hielt mich bei Majana. Und die richtig bösen Geschichten über sie und ihre Schandtaten habe ich zum Glück erst tröpfchenweise nach und nach erfahren. Besser so. Sonst hätte ich womöglich doch noch voreilig das Weite gesucht.

Wenn Pferd und Mensch zusammenwachsen

Nach einiger Zeit hat dieses eigensinnige Pony gemerkt, dass ich immer wieder komme und dass ich es ernst mit ihr meine. Wenngleich ich natürlich auch damals noch viele Fehler gemacht habe. Doch klammheimlich - das hätte sie natürlich nie zugegeben - fand Majana es toll, dass da immer jemand nur für sie kam. Sie konnte sich ein bisschen öffnen, wurde zugänglicher. Und ich habe mich sehr um sie bemüht. Habe Bücher gelesen, neue Techniken ausprobiert - Horsemanship zum Beispiel, Kurse besucht - mit und ohne Pferd. Majana war gefühlt schon längst wie mein eigenes Tier. Ihre Besitzerin sagte immer: "Das ist dein Pferd. Ihr gehört zusammen. Ich füttere sie für dich durch, bis du fertig studiert hast." Dafür bin ich ihr bis heute dankbar.

Über die Jahre haben Majana und ich Vieles gelernt und wir haben einander verstanden, weil wir ein Gefühl füreinander entwickelt hatten. So habe ich eines Tages auch gespürt, dass etwas nicht (mehr) stimmt mit ihr. Es dauerte Wochen und Monate, bis ich mich selbst und  ihre Besitzerin von meinem diffusen Gefühl überzeugt hatte. Tatsächlich brauchte es sogar einen echten Schock-Moment: Bei einem Ausritt mit zwei Freundinnen bemerkte ich beim voraustraben, dass Majana sich komisch anfühlte, irgendwie nicht frei und locker vorwärts lief. Ich parierte zum Schritt durch und plötzlich wankte sie unter mir. Schon beim Absteigen schoss ihr das Wasser aus sämtlichen Poren. Wie aus einer Gießkanne perlte es aus ihrem Hals, ihren Ohren, tropfte von ihrem Bauch. Ich war geschockt und völlig überfordert. Intuitiv lockerte ich Sattel und Trense und stopfte ihr ein paar Leckerlies ins Maul (Zucker und so). Sie hatte einen astreinen Kreislaufkollaps, konnte sich aber glücklicherweise weiterhin auf den Beinen halten. Ich schickte die anderen Mädels zurück auf den leeren Hof – es war klar, dass niemand Zuhause war, denn es waren Ferien und die Hofbesitzer mussten arbeiten. Trotzdem hätten sie mir im Wald nicht helfen können und da sie genau wussten, wo wir uns befanden, hätten sie im Zweifel Helfer zu uns lotsen können. Ich wartete noch eine Weile und ließ Majana ein wenig fressen, bevor ich ihr erklärte, dass wir jetzt irgendwie gemeinsam zum Stall zurücklaufen mussten. Und das taten wir. Einige Kilometer gemeinsam im Gleichschritt, ich neben statt auf dem Pony. Zuhause angekommen war Majana bereits wieder trocken und fröhlich wie eh und je. Der ganze Spuk war vorbei.

Reitbeteiligung oder erstes eigenes Pferd?
Majana und ich im Oktober 2010 - ein Jahr vor der Krankheit

Einige Ausritte später (und nachdem die Besitzerin mit eigenen Augen gesehen hatte, dass etwas nicht stimmte) bekamen wir in der Pferdeklinik die Diagnosen Cushing und leichte chronisch obstruktive Bronchitis (COB). Ausgestattet mit Medikamenten wurden wir wieder nach Hause geschickt. Und tatsächlich war Majana bald schon wieder fast die Alte.

Das erste eigene Pferd! - Plötzlich Pferdebesitzer

Dann kam der Tag, da hatte ich fertig studiert und kurz darauf meinen ersten Arbeitsvertrag unterschrieben. Am 01. Februar 2013 kaufte ich nach 6,5 Jahren Reitbeteiligung meine Majana - für einen symbolischen Euro. Trotz ihrer Krankheit war für mich klar, dass ich sie übernehmen würde. Mein erstes eigenes Pferd! Gott sei Dank wusste ich damals noch nicht, was alles auf mich zukommen würde, sonst hätte ich mich aus lauter Angst davor nicht darauf einlassen können.

Mein erstes eigenes Pferd - endlich Pferdebesitzer
Majana 2013 - Mein erstes eigenes Pferd!

Machen wir uns mal nichts vor: Pferdebesitzer zu sein ist hart! Es ist ein riesiger Haufen Verantwortung, den man da plötzlich Tag und Nacht mit sich trägt. Es kommen zahlreiche Ängste auf einen zu – die Angst etwas falsch zu machen, die Angst ob das Pony einen genauso liebt wie man es selbst, die Angst den richtigen Stall zu finden, finanzielle Ängste wenn sich plötzlich Tierarzt-Rechungen stapeln, und so weiter! Wirklich, das ist nichts worauf man sich einlassen würde, wenn ausschließlich der gesunde Menschenverstand etwas zu sagen hätte…

Zum ersten Mal im Leben ganz in Echt Pferdebesitzerin zu sein – das war zweifelsohne die schönste und die schlimmste Zeit meines Lebens! Ich konnte endlich alles selbst bestimmen! Und ich MUSSTE plötzlich alles selbst bestimmen. Ja wirklich, es ist Fluch und Segen zugleich. Denn neben all den hunderttausend schönen, besonderen und magischen Momenten mit meinem Pferd gab es plötzlich auch all die schmerzlichen, mich verzweifeln lassenden Momente. Zum Beispiel, wenn es dem geliebten Tier nicht gut geht. Und die Zeiten, in denen es Majana mit ihrer Krankheit und den zahlreichen Folgeerkrankungen nicht gut ging, nahmen zu. Obwohl ich einfach alles tat, um genau das zu verhindern. Wir können das Leben nicht verhindern. Das ist nur eine der wenigen Lektionen, die ich von meiner Stute gelernt habe.

Wir haben intensiv gelebt miteinander. Majana hat mich auf dem Weg ins Erwachsensein begleitet. Sie war es, zu der ich mit meinem ersten eigenen Auto gefahren bin. Sie war es, die meine erste "große Liebe" erlebt hat. Sie war es, zu der ich gezogen bin, in meine erste eigene Wohnung auf dem Hof, auf dem auch Majana lebte.


Wir hatten weitere 4,5 Jahre zusammen. Wir erlebten gemeinsame Kurse, Urlaube, Umzüge. Und wir fanden einen Ort, den ich mir schöner nicht herbeisehnen hätte können. Auf dem Christofshof konnten wir beide miteinander noch eine unglaublich tolle Zeit verbringen – wenn auch immer wieder von Krankheit überschattet. Irgendwie war das nicht mehr so wichtig. Weil wir Zuhause waren.

Doch das Leben schreibt die verrücktesten Geschichten und es geschah, was wahrscheinlich passieren musste. Auf dem Christofshof wurde eine Wohnung frei, mein damaliger Partner und ich konnten dort einziehen. Endlich wieder beim eigenen Pferd wohnen! Dazu noch bei und mit meinen Herzensmenschen! Es hat sich angefühlt wie die Erfüllung all meiner Träume… Und gerade als wir noch die Wohnung renovierten, entschied Majana, dass sie nun nicht mehr gebraucht werden würde. Dass ihr Leben auf der Erde nun zu Ende sein sollte.

Abschied vom ersten eigenen Pferd

Obwohl ich gefühlt habe, dass der Abschied kommen würde - obwohl ich sogar eine letzte kleine Fotosession mit ihr hatte, um ein paar schöne Erinnerungen zu haben - obwohl ich sogar ein Buch über den Tod des Pferdes gelesen habe - obwohl ich in Gedanken schon unzählige Male den Tierarzt angerufen hatte, um es zu beenden. Es traf mich gänzlich unvorbereitet. Auf diesen Moment kannst du dich nicht vorbereiten. Und so oft ich in den Monaten vorher am Zweifeln und Hadern war, ob die Zeit gekommen sei oder ob es doch noch eine Chance geben würde… An diesem Tag im August 2017 wusste ich sofort, dass der Moment genau jetzt da ist. Ich bekam einen Anruf aus dem Stall, dass Majana nicht mehr aufstehen würde. Ich fuhr sofort los und die ganze Autofahrt über hatte ich Schmetterlinge im Bauch. Ja wirklich, das mag sich verrückt anhören, aber es war ein Kribbeln in mir das keinen Zweifel mehr zuließ. Ich wusste was ich tun musste. Und obwohl Majana Dank der doppelten Schmerzmitteldosis doch schon stand, bis ich auf dem Hof angekommen war, rief ich den Tierarzt an. Meine Stute hatte unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht mehr konnte und wollte. Es lag an mir, ihr noch ein letztes Mal meinen Dienst zu erweisen - in tiefer Dankbarkeit, Liebe und höchster Wertschätzung.

Danach brauchte ich eine Weile, bis ich den Hof wieder betreten konnte. Bis ich meine eigene, neue Wohnung wieder betreten konnte. Und es brauchte noch ein paar Tage mehr, bis ich auch den Stall wieder betreten konnte. Aufgefangen und getragen von der Hofgemeinschaft konnte ich irgendwann meine Zweifel an der Richtigkeit (die später immer aufkommen!) hinter mir lassen. Es hätte für meine Stute keinen schöneren Ort zum Sterben geben können. Und es hätte für mich keinen schöneren Ort für einen Neubeginn geben können.

Tod des ersten eigenen Pferdes
Mit dem eigenen Pferd den Weg bis zum Ende gehen

Denn dort im Stall stand ja schon ein kleiner, verrückter und verunsicherter Araber, zu dem ich immer mal wieder heimlich herübergelinst hatte, wenn ich bei Majana war. Niemals hätte ich mir zum Zeitpunkt ihres Lebens erlaubt, etwas mit einem anderen Pferd anzufangen ☺ Erst Monate später habe ich verstanden, dass Majana bei meinem Einzug dort den Weg frei gemacht hat. Für Sharoom und mich, und den Anfang einer ganz neuen Pferd-Mensch-Beziehung.


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