Angeregt durch ein spannendes Erlebnis habe ich mir kürzlich die Frage gestellt:
"Wissen Pferde eigentlich wirklich immer selbst, was gut für sie ist?"
Ich bin für mich ziemlich schnell zu einer Antwort gekommen: Nein, das glaube ich nicht.
Laissez-fair beim Pferd?!?
In Zeiten in denen das freie Miteinander mit dem Pferd einen Boom erlebt und viele Trainer ausschließlich auf die freie und freiwillige
Entscheidung des Pferdes setzen ist das vielleicht eine provokante Aussage. Bevor jetzt ein Aufschrei folgt dazu ein paar Beispiele: ich kenne ein Pferd, das aus lauter Angst vor dem
Straßenverkehr INS Auto gesprungen ist, anstatt davon weg. Ich habe dagegen noch kein Pferd kennengelernt, das sich völlig freiwillig und ohne Konditionierung gymnastizieren ließ, einfach weil es
weiß, dass das seinem Körper gut tut und es so länger gesund und geschmeidig bleibt.
Und wie oft hat man schon von Pferden gehört, die sich einfach nicht verladen lassen, obwohl die Tierklinik ihre letzte Chance auf
Rettung ist?
Logisch, diese Beispiele beinhalten Szenarien, die der Mensch kreiert hat und die für das Pferd nicht natürlich sind. Woher soll das Pferd auch wissen, dass ihm nur geholfen werden kann, wenn es doch endlich in den Hänger steigen würde? Aber es gibt noch andere Beispiele. Ich weiß von einem australischen Wildpferd, das an einer Vergiftung durch Giftpflanzen gestorben ist - obwohl ihm kilometerweit Gras und andere ungiftige Pflanzen zum Fressen zur Verfügung standen. Wie geht das? Wissen Pferde nicht intuitiv, was gut und richtig für sie ist?
Das Pferd in einer vom Menschen geprägten Welt
Vermutlich ist es wie bei uns Menschen: eigentlich wissen wir tief in unserem Innersten was gut für uns ist. Wir wissen, welche Nährstoffe wir brauchen und welche
Lebensmittel wir zu uns nehmen sollten. Wir wissen auch, dass Schokolade da nur sehr begrenzt dazu gehört ☺ Und trotzdem greifen wir wieder und wieder zu Köstlichkeiten, die uns nicht unbedingt
nähren sondern uns, im Gegenteil, eher schaden. Unser intuitives Wissen ist verschüttet und verschollen. Für das Pferd an unserer Seite gilt zusätzlich: es lebt nicht in seiner
natürlichen Umgebung, es lebt in einer von Menschen geprägten Welt. Auf sich und seine Intuition zu setzen ist für das Tier stellenweise gar nicht möglich, denn in der Pferdeintuition gibt es
viele Dinge und Situationen, die dem Pferd tagtäglich begegenen schlicht gar nicht.

Für mich ist das der ausschlaggebende Grund, warum ich eben nicht immer das Pferd entscheiden lasse - und auch gar nicht entscheiden lassen kann, weil es damit überfordert wäre.
Ich maße mir an, mich in einer von Menschen geprägten Welt besser auszukennen als mein Pferd. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, dass die Welt so sehr von Menschen geprägt ist, steht nicht zur Debatte. Das Pferd mit dem ich arbeite lebt jetzt und hier, ich lebe jetzt und hier, und wir müssen uns in der heutigen Welt so wie sie jetzt ist zurechtfinden.
Eines ist für das im Horsemanship angestrebte harmonische Zusammensein
unerlässlich: Wissen (oder zumindest eine Ahnung) darüber, was mein Pferd denkt und fühlt. Weil ich dann erst auf es eingehen kann. Seine Bedürfnisse sehen kann. Nur dann kann ich Entscheidungen
treffen.
Vier Möglichkeiten, im Umgang mit dem Pferd zu entscheiden
Aus meiner Sicht gibt es vier Möglichkeiten, zu handeln, wenn ich mit dem Pferd zusammen bin:
1. Ich entscheide bewusst etwas, was das Pferd (gerade auch) möchte.
2. Ich entscheide bewusst etwas anderes, als das was das Pferd möchte.
3. Ich entscheide einfach irgendwas, ohne zu wissen, was das Pferd möchte.
4. Ich überlasse die Entscheidung vollständig dem Pferd.
Punkt 1 ist unproblematisch. Dazu ein eigenes Beispiel: letzte Woche wollte ich meine Reitbeteiligungsstute aus dem Offenstall holen, um mit ihr einen kleinen Ausritt zu machen. Doch Frau Pferd hatte andere Pläne: Sie war schon auf der Koppel so im "Spiel-Modus", dass ich kurzerhand entschieden habe, mit ihr auf dem Platz Liberty zu machen. Sie war eifrig und voller Freude dabei und wir hatten einen Wahnsinns-Spaß! ☺ So gibt es für mich im Zusammensein mit dem Pferd die Möglichkeit, mein Tier mitbestimmen und entscheiden zu lassen. Ein weiteres simples Beispiel dafür habe ich in diesem Beitrag auf meiner Facebook-Seite* beschrieben.
Punkt 2 klingt erstmal fies: warum sollte ich bewusst gegen den Willen meines Pferdes agieren? Das wäre doch Druck, Zwang und Unterdrückung!
Tatsächlich kommt dieser Fall aber in einer von Menschen geprägten Welt häufiger vor, als man denkt, und ist aus meiner Sicht sogar notwendig - das kann ich noch so sehr bedauern, es ändert
nichts. Auch hierfür ein Paradebeispiel: beim Spaziergang oder auch einfach nur auf dem Hof begegnet uns ein Traktor. Das Pferd will flüchten, ich aber nicht. Das Pferd kann das "Monster"
vielleicht noch nicht einschätzen, es hat möglicherweise einen ausgeprägten Fluchtinstinkt. Ich dagegen weiß, dass uns der
Traktor nicht anfällt, und solange uns der Fahrer sieht wird er uns keinen Schaden zufügen. Selbst wenn mir das Pferd eines Tages durch Training und Verbindungsaufbau
glaubt, dass uns der Traktor nichts tut, würde es vielleicht lieber einen anderen Weg einschlagen. Einfach weil die Zugmaschine ohrenbetäubend laut sein muss für unseren Gefährten. Dann ist es
meiner Meinung nach völlig okay als Mensch zu entscheiden, dass daran vorbei nur eine ganz kurze unangenehme Situation ist, danach aber die Weide, das schöne Ausreitgelände, der Stall oder was
auch immer Wundersbares auf das Pferd wartet. Kurz mal die Komfortzone verlassen ist oft sinnvoller und bringt uns viel weiter, als immer nur den scheinbar bequemsten Weg zu
gehen... ☺
Punkt 3 aus der Liste der Entscheidungsmöglichkeiten ist die denkbar schlechteste Alternative. Wenn ich gar nicht weiß, was mein Pferd möchte, oder es gar nicht wissen will, weil mir das ohnehin egal ist, übergehe ich das Pferd. Auch dazu Beispiele: der Gaul soll gefälligst beim Aufsitzen ruhig stehen, egal ob da eine riesige Pferdebremse auf dem Hinterteil sitzt oder nicht. Trotz Menschenmenge, Lärm und Hektik soll das Ross beim Outdoor-Turnier gefälligst genauso funktionieren wie Zuhause in der einsamen, abgeriegelten Reithalle. Jemand der so denkt und handelt, ist leider weit entfernt von Harmonie. Noch schlimmer – es kann richtig gefährlich werden, weil denjenigen die (Re-)Aktion des Pferdes gegebenenfalls überrascht. Wer die leisen Töne seines Pferdes überhört (bewusst oder unbewusst), muss mit einer lauter werdenden Stimme rechnen und das heißt im Falle des Pferdes unter Umständen: es wird heftiger. Oder krank. Trotzdem bringt mich das nicht unweigerlich zu Punkt 4, denn auch dem Pferd vollkommen alle Enscheidungen alleine zu überlassen halte ich nicht für sicher. Auch hier lauern potenzielle Gefahren, weil Pferde unsere (menschliche) Welt manchmal ein bisschen anders sehen als wir selbst (siehe das Traktor-Beispiel).
Bewusstheit macht den Unterschied
Worin liegt der Unterschied dieser Entscheidungsmöglichkeiten? Im kleinen Wörtchen BEWUSST. Wenn ich nämlich bei 4. statt „Ich überlasse die Entscheidung vollständig dem Pferd“ umformuliere hin zu „Ich überlasse die Entscheidung BEWUSST dem Pferd“ wäre das schon wieder eine Handlungsalternative, die ich zumindest in Betracht ziehen kann. Weil BEWUSST heißt: „So, dass ich die Realität und die Konsequenzen von etwas erkenne“ oder „so, dass ich etwas mit voller Absicht tue“. Sprich, dann bin ich mir im Klaren über meine Verantwortung und mögliche Konsequenzen. Und dann kann ich auch im Nachhinein nicht die Verantwortlichkeit für mögliche Fehlentscheidungen auf mein Pferd abwälzen. (Eine Anmerkung dazu - nicht alle bewusst getroffenen Entscheidungen sind „gut“ oder schlau.)
Vom Pferd getroffene Entscheidung - ein Beispiel
Und ja, es gibt sie, die Entscheidungen, die unser Pferd ganz für sich alleine treffen kann.

Das habe ich diese Woche eindrucksvoll an Sharoom erleben dürfen. (M)Eine wundervolle Mentorin Sarah Rogalski - Seelensprache, Intuition & Selbstverwirklichung* hat mir den Tipp gegeben, den hochsensiblen Araber mit
Bachblüten zu unterstützen. Also habe ich angefangen Bücher zu wälzen, Blüten fast hypnotisch zu durchleuchten und Beschreibungen Wort für Wort zu zerpflücken. Voll im Kopf und mit dem Verstand
wollte ich die richtigen Blüten für ihn finden und bin dabei nicht so wirklich auf einen grünen Zweig gekommen. Dank meiner lieben und erfahrenen Stallfreundin Janina ist der Knoten geplatzt,
denn sie meinte bloß: "Lass' ihn doch selbst aussuchen, welche Blüten er braucht. Wir können ihn einfach fragen!" Gesagt - getan!
Und so fanden wir uns diese Woche abends im Stall wieder, einen Kasten voller Bachblüten und einen sehr interessierten Sharoom im Schlepptau. Mittels
kinesiologischer Testung konnte Sharoom durch mich "sprechen". Wir haben die Blüten an seine Brust gehalten und seine Reaktion war meist schon eindeutig, bevor ich ihn überhaupt damit berührt
habe. Da hat seine Hypersensibilität auch mal eine gute Seite. ☺ Ohne zu wissen, welche Bachblüte ich in den Händen halte, haben wir seine Antworten akzeptiert und die Fläschchen
in zwei Gruppen eingeteilt - "will ich" und "will ich nicht". Als wir nach der Testung die Beschreibungen seines ausgewählten Blütenstraußes gelesen haben, war ich komplett verblüfft.
Sharoom hat durchweg Blüten gewählt, die zu ihm passen. Nur ein "Fehler" war dabei - bei einer der Blüten passte die Beschreibung nicht zu ihm, dafür umso mehr zu
mir. Da hat er wohl für mich gleich mit ausgewählt, oder mein Körper hat an dieser Stelle für sich selbst gesprochen. ☺
Für mich ist dies ein schönes Beispiel für eine Situation, in der das Pferd wirklich vollkommen selbst für sich entscheiden kann. Ohne sich, mich oder andere zu gefährden. Falls du dein Pferd nun auch mal mit Bachblüten unterstützen magst, möchte ich an dieser Stelle dennoch erwähnen, dass ich mit Janina eine sehr erfahrene Unterstützerin an meiner Seite hatte. Grundsätzlich empfehle ich dir vorab immer einen Tierarzt, Tierheilpraktiker oder anderen erfahrenen Therapeuten zu Rate zu ziehen. Wenn dieser gut ist, begrüßt er bestimmt auch den Vorschlag, das Pferd selbst entscheiden zu lassen. In solch einem Fall kann ich mich darauf voll einlassen und das unterstützen.
Welche Situationen fallen dir ein, in denen das Pferd vollkommen selbst entscheiden kann - es für alle sicher und gefahrlos möglich ist? Hast du eigene Beispiele zu erzählen? Berichte mir sehr gerne davon und teile deine Erfahrungen in den Kommentaren! ☺
*Mit einem Klick auf diesen Link wirst du direkt zu meiner Facebook-Seite weitergeleitet. Bitte beachte die Hinweise zum Datenschutz.
Anja Jacob (Sonntag, 25 November 2018 11:38)
Liebe Heike,
da hast du mir wahrlich aus dem Herzen geschrieben. Etwas BEWUSST wahrnehmen, daran hapert es noch sehr. Gerade auch in der Zusammenarbeit oder auch -leben mit Tieren generell, nicht nur mit Pferden :-).
Ein sehr schön geschriebener Artikel.
Herzensgrüße
Anja (Tierkommunikatorin und -heilpraktikerin)
http://www.tierheilpraktikerin-jacob.de/
Stéfanie Renou (Samstag, 24 November 2018 11:14)
Liebe Heike,
Du hast eine sehr schöne Internetseite mit vielen wunderbaren Bildern!
Es handelt sich in diesem tollen Artikel um ein sehr wichtiges Thema, das die Geister spaltet. Ganz klar!
Ein Pferd ist ein Individuum und ich vertrete eher der Meinung, jede Situation einzeln zu betrachten und von Fall zu Fall zu entscheiden. Ich bin kein Freund von Verallgemeinerungen. Unser Erfahrungsschatz ist dabei auf jeden Fall hilfreich, aber noch mehr sollten wir uns auf unsere Intuition verlassen – unser “Bauchgefühl″ – gerade bei hochsensiblen und so empfindlichen Tiere wie Pferde es sind.
Genauso wie Du, sehe ich das auch: Sie leben in einer Menschenwelt, oft ausgenutzt, fast immer gebrochen und sie brauchen (leider) die Menschen, weil ihre natürlichen Instinkte in dieser Welt nicht mehr zuverlässig funktionieren (können).
Deine Arbeit ist wertvoll und Du machst einen tollen Job: Mach weiter so! :-)
Herzliche Grüße
Stéfanie von "Tierstimmung - Ganzheitliche Tierkommunikation"
https://tierstimmung.de/
Tina (Samstag, 24 November 2018 04:40)
Wie schön du die Menschen mit ihren Pferden die Achtsamkeit lehrst, die Essenz eines harmonischen und gesunden Miteinander von allen Wesen!
Ich bin sehr stolz auf dich!