Vor einiger Zeit habe ich in einem Instagram-Beitrag diese Frage gelesen: Wie macht dein Pferd dich glücklich?
Verbunden mit der Aufforderung, Antworten dazu in die Kommentare zu schreiben.
Ganz kurz habe ich mich dabei erwischt, völlig Verstand-gesteuert in meinem Gedächtnis nach Situationen zu graben, in denen mein Araber Sharoom mich richtig glücklich macht. Mir sind auch gleich ein paar Beispiele eingefallen: Wenn er im gestreckten Galopp von der Koppel auf mich zugerast kommt, wenn ich ihn rufe. Oder wenn er sich bei einer für ihn schwierigen Situation vorbildlicher verhält, als ich es ihm vorher zugetraut habe. Oder wenn er meine Angebote und Ideen annimmt und sich auf mich einlässt. Dann bin ich glücklich. Dann macht mein Pferd mich glücklich.
Wenn Pferde ihre Menschen glücklich machen - und was, wenn nicht?
Und was, wenn es all das nicht tut? Wenn Sharoom Tage hat, an denen er schlecht gelaunt ist, besonders nervös oder wenig offen für Kontakt. Macht er mich dann unglücklich? Bin ich dann weniger glücklich, ihn zu kennen, zu haben und ihn an meiner Seite zu wissen?
Natürlich nicht! Mein spontaner intuitiver Impuls war eindeutig: Diese Frage ist völlig falsch gestellt!
Mal ganz ehrlich: Mein Pferd muss mich nicht glücklich machen. Und dein Pferd muss dich nicht glücklich machen. Punkt.
Was ist, wenn dein Pferd krank wird? Wenn es nicht (mehr) das leisten kann, für was du es gedacht hast? Wenn dein Pferd es nicht (mehr) schafft, dich glücklich zu machen? In Phasen, in denen unter Umständen auch mal Kummer, Leid und Sorgen in eurer Beziehung Einzug halten?
Hat dein Tier dann versagt? Hat es dann seinen "Zweck" verfehlt? Ist es dann eine Enttäuschung für dich? Möchtest du es dann loswerden? Oder ersetzen? Geht man so mit einem Freund, einem Partner um?
Wahrscheinlich sagst du voller Überzeugung: "Natürlich, Pferde machen glücklich!". Wahrscheinlich sagst du mit Stolz und Recht, dass du dein Pferd liebst. "Über alles!" vielleicht sogar. Und liebst du dein Pferd auch dann noch, wenn es dich nicht mehr glücklich macht? Wenn es krank ist, alt, oder schlecht gelaunt? Was dann?
Meine ehrliche Antwort darauf kenne ich. Sie lautet „Ja!“. Sharoom ist kein Pferd das dazu dient, einen Menschen glücklich zu machen oder ein Ego zu streicheln. Das zu irgendwas „dient“. Er macht bei diesem Spielchen einfach nicht mit. Und das ist GUT so! Denn er lehrt mich etwas, das viel wichtiger und wertvoller ist: echte Selbstliebe und bedingungslose Liebe.
Das klingt so schön, aber ist das auch einfach? Nein. Kein bisschen. Ich fluche oft innerlich, bin wütend darüber, dass nicht alles leicht und fluffig ist, wünsche mir manchmal einfach ein Pferd, das meinem Ego mehr schmeicheln und besser "funktionieren" würde. Sharoom ist konsequent und macht da nicht mit. Und dafür liebe ich ihn umso mehr!
Denn es ist eine traurige Tatsache, dass wahrscheinlich die meisten Menschen Pferde halten, um ihr eigenes bescheidenes Ego aufzupolieren. Um ihren eigenen mangelnden Selbstwert zu erhöhen.
Natürlich ist es ein schönes Gefühl, wenn ein 500kg-Pferd macht, was man ihm sagt. Und natürlich dienen diese Erfolgserlebnisse mit dem Pferd der Selbstwirksamkeit. Daran ist auch erstmal nichts Verwerfliches zu finden. Wir sind Menschen, wir haben ein Ego und wir mögen, wenn ihm geschmeichelt wird. Sehr wahrscheinlich war das bei mir auch mal der Grund, warum ich ein Pferd haben wollte, warum ich mit Pferden zusammen sein wollte.
Pferde als Instrumente zum Glück? Wohl kaum!
Heute möchte ich Pferde nicht mehr instrumentalisieren. Ich möchte mein Pferd nicht halten, damit es mir dient oder damit es einen Zweck für mich erfüllt. Auch nicht, damit ich es "nutzen" kann. Oder damit es macht (machen soll), dass ich mich gut und glücklich fühle.
Mein Pferd ist nicht dafür da mich glücklich zu machen oder mein Ego zu befriedigen. Dafür ist es nicht geboren.
Der Gedanke, mich - auf Kosten des Gegenübers - am Lebewesen Pferd (oder überhaupt an einem anderen Lebewesen) zu bereichern oder mich selbst besser dastehen zu lassen ist mir zuwider. Das ist bloßes Ausnutzen, das ist Raubbau am anderen Lebewesen zum eigenen Nutzen, zum eigenen Vorteil, zum Aufpolieren des eigenen Egos.
Es tut weh, sich das einzugestehen. Denn getan haben wir das alle schon. Und wir werden es wieder tun! Da ganz ehrlich hinzuschauen und ganz ehrlich mit sich selbst
zu sein, das tut weh! Denn in diesem Moment machen wir uns zum Täter. Wir müssen uns eingestehen, dass wir Täter sind. Das fällt unendlich schwer. Denn der Mensch ist immer gerne Opfer. Opfer der Umstände, machtlos, ohnmächtig. "Ich kann da nichts dafür!", "Mein Pferd macht aber…", "Der Chef ist schuld!", "Die anderen haben
aber…", "Die Situation ist wie sie ist, ich bin ausgeliefert…". Jetzt kommt‘s: Wir sind immer beides. Wir sind immer Opfer UND Täter.
Auch Pferdehalter sind Täter. Weil sie ihren Pferden - bewusst oder unbewusst - Dinge aufladen, die die Pferde nicht erfüllen können. Und vor allem gar nicht
erfüllen müssen! Weil sie dafür schlicht und ergreifend nicht gemacht worden sind. Nochmal zur Wiederholung: Dein Pferd ist NICHT dafür da dich glücklich zu
machen oder dein Ego zu befriedigen. Dein Pferd ist nicht dafür geboren, deine Bedürfnisse zu erfüllen.
Eigenverantwortung statt von-Anderen-glücklich-machen-lassen
Ich gehe sogar weiter und übertrage diese Erkenntnis auf jede andere Beziehung oder Partnerschaft, die ein Mensch eingehen kann. Denn das gilt genauso für deinen Hund, deine Freunde, deinen Chef, deine Kollegen, deine Eltern, deine Kinder UND deinen Partner!
Deine eigenen Bedürfnisse zu erfüllen um glücklich zu sein ist DEIN Job. Das kannst du nur selbst. Das bedeutet in Eigenverantwortung und
Schöpfertum gehen. Raus aus dem Opferbewusstsein und auch raus aus dem Täter-Sein. Nicht weil das zu verteufeln wäre - auch Täter sein ist manchmal gut und wichtig, es gehört zu unserer
menschlichen Erfahrung, ebenso wie das Opfer sein. Wir sind immer beides. Aber es ist doch absurd die Verantwortung für das eigene Glück aus den Händen zu geben. Einem anderen Wesen aufzubürden,
so nach dem Motto: "Jetzt mach‘ mal! Mach mich glücklich! Ich warte hier so lange." Das ist doch Wahnsinn! Was, wenn keiner kommt, der dich glücklich macht? Oder alle Versuche
scheitern? Bleibst du dann freiwillig lebenslang unglücklich?
Die Eigenverantwortung anerkennen heißt: Ich darf mich selbst glücklich machen. Ich kann und darf aus mir selbst heraus glücklich sein. Niemand ist dafür da, mich glücklich zu machen. Nicht mein Pferd, nicht mein Partner, nicht irgendwer. ICH. Ich kann das selbst! Das ist Eigenermächtigung.
Gleichzeitig nimmt das einen unglaublichen Druck, denn umgekehrt gilt natürlich das Selbe: Ich bin nicht dazu da meinen Partner glücklich zu machen. Puh! Ich darf und kann ihm Gutes tun und ihm damit eine Freude bereiten, keine Frage. Echtes Glück – das darf auch der Partner in sich selbst finden.
Pferde machen glücklich - oder machen wir die Pferde glücklich?
Beim Pferd ist das etwas schwieriger, weil das Pferd nicht frei ist und nicht tatsächlich in die volle Eigenermächtigung gehen kann. Als Pferdehalter muss ich also schon dafür sorgen, dass es dem Pferd gut geht und es alles hat, was es zum Leben braucht. Doch kann ein Pferd überhaupt in unserem menschlichen Sinne glücklich sein oder nicht glücklich sein? Es kann natürlich zufrieden oder unzufrieden sein. Es kann seine Bedürfnisse erfüllt haben oder eben nicht, na klar. Aber glücklich? Oder unglücklich? Pferde hadern nicht mit einer Situation. Wenn sie alles haben was sie brauchen um ihre Bedürfnisse zu erfüllen, sind sie dann glücklich? Ich glaube schon.
Jetzt fragst du dich vielleicht: "Warum soll ich dann überhaupt noch ein Pferd halten? Wenn ich es nicht nutzen soll? Es meine Bedürfnisse nicht erfüllt? Wenn Pferde gar nicht glücklich machen (sollen)?" - Nun, das ist wieder falsch gefragt. Denn es heißt nicht, dass du dein Pferd nicht reiten darfst oder dass es dich nicht glücklich machen darf! Es heißt nicht, dass dein Pferd deine Bedürfnisse nicht erfüllen darf! Natürlich machen Pferde glücklich! Aber nicht, weil (oder wenn) sie es müssen…
Was ich sagen möchte ist: Achte auf deine Einstellung mit der du dein Pferd reitest. Blicke auf das was du da tust mit deinem Pferd und WIE du es tust. Instrumentalisierst du dein Pferd für deine eigenen Zwecke? Muss es xy, damit…? Soll es abc, um zu…? Ja? Dann lass‘ es! Denke um! Ändere etwas! Erfüllt es deine Bedürfnisse "nebenbei", mit seinem bloßen Sein, macht es dich glücklich nur dadurch, dass es an deiner Seite ist und mit dem was ihr gerne gemeinsam tut? Ja? Perfekt! Genieße es!
Pferdehalter sein - um glücklich zu werden?
Ganz unwillkürlich wird es immer wieder passieren, dass die Grenzen hier ineinander verschwimmen. Es ist völlig in Ordnung, wenn man das Pferd auch mal so ein bisschen hernimmt, um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen - wir sind Menschen! Wichtig ist, dass wir uns das bewusst machen, dass dir das bewusst ist und dass du damit achtsam bist und bleibst.
Klingt irgendwie anstrengend? Ja, das ist es manchmal auch! ☺ Wie jede gute Beziehung. Weil das vor allem Arbeit an sich selbst erfordert.
Frage dich doch mal ganz ehrlich, wieso du Pferdehalter geworden bist. Wenn du vor allem Ego-Gründe entdeckst, welche könntest du noch finden, die nicht deinem Ego und deiner Bedürfniserfüllung entsprechen?
Beispiele gefällig?:
- Weil ich Pferde faszinierend und anziehend finde.
- Weil ich sie gerne beobachte.
- Weil ich gerne von Pferden lerne und von ihrer Weisheit profitiere.
- Weil ich ihre Kraft schätze.
- Weil ich mich in ihrem feinen Wesen wiedererkenne.
- Weil es mich glücklich macht, mein Pferd glücklich zu machen.
- Weil Pferde einfach so sind wie sie sind!
Jedenfalls nicht, weil mein Pferd mir Schleifchen heimbringen muss, mich durch die Gegend tragen muss, oder mir das Gefühl geben muss, dass ich fliegen kann. Und auch nicht, weil mein Pferd coole Kunststückchen lernen muss, damit ich mich vor Anderen profilieren oder damit angeben kann.
Was mein Pferd zu Glück durch Ego-Befriedigung sagt
Ich gestehe: Es gibt Tage, da wäre es mir lieber, wenn mein Pferd mehr so wäre, dass ich damit ein bisschen mein Ego polieren könnte. Besonders wenn ich mich nicht so gut mit mir selbst fühle. Dann wünsche ich mir, dass ich mit dem Pferd an meiner Seite nach draußen gehen könnte und zeigen könnte: "Kuck mal was mein Pferd alles kann, weil ICH ihm alles beigebracht habe, ich, die Supertrainerin!"
Mein Wallach sagt dazu ganz eindeutig: "Nö! Das ist nicht unser Weg, das ist nicht die Lektion. Das ist nicht die Botschaft und nicht das, wofür du hier bist. Und vor allem ist es nicht das, wofür ICH hier bin, ich als dein Pferd." Und ganz besonders sagt er das an Tagen, an denen ich mich nicht so gut mit mir selbst fühle. Also gehe ich stattdessen mit dem etwas verrückten, nicht "funktionsfähigen" Pferd an meiner Seite nach draußen und bin voller Ehrfurcht und Demut darüber, dass ich mein Leben mit ihm teilen und von ihm lernen darf. Denn mein Pferd lehrt mich im höchsten Maße bedingungslose Liebe. Nämlich es auch dann zu lieben, wenn von ihm nichts zurück kommt von dem ich unmittelbar profitieren kann. UND mich selbst auch dann zu lieben, wenn ich mich nicht so gut mit mir selbst fühle.
Diese Botschaft haben die Pferde für uns Menschen. An der dürfen wir uns ein bisschen (mehr) orientieren, nicht nur für das Zusammensein mit Pferden, sondern auch für das Zusammenleben mit anderen Menschen. Sich selbst und den anderen gerne zu dienen, gerne zu geben, gerne etwas zu schenken, das man leicht schenken und geben kann. Das heißt nicht sich aufopfern, das heißt nicht die eigenen Bedürfnisse missachten. Sondern für sich selbst gut zu sorgen und aus dieser Fülle heraus andere zu beschenken ohne Gegenleistung zu erwarten und auch ohne etwas leisten zu müssen dafür. Das ist eine der zentralen Botschaften, die mein Pferd für mich und dich hat. Und DAS macht am Ende des Tages tatsächlich nachhaltig glücklich. Auch in Zeiten, die weniger vom puren Glück geprägt sind.
Vielleicht ist es ein bisschen wie in einer guten Ehe. Ich meine, in einer RICHTIG guten Ehe! Nicht so eine, die nach außen hin gut aussieht aber im inneren von Unehrlichkeit, Vermeidung und Missgunst geprägt ist. Sondern eher so eine, die nach außen hin vielleicht unscheinbar oder gar „zerrüttet“ wirkt, die aber im inneren dafür umso echter und authentischer gelebt wird. Mit all den guten und unguten Prozessen die eben dazu gehören. In guten wie in schlechten Zeiten. Wer lässt sich darauf heutzutage noch wirklich ein? So richtig wirklich, gerade auch dann, wenn es verdammt schwer wird und scheiße weh tut? Genau darum geht’s doch! Und das lehren mich die Pferde.
Wie machst du dein Pferd glücklich?
Die eingangs gestellte Frage "Wie macht dein Pferd dich glücklich?" müsste also eher heißen: "Wie machst du dein Pferd glücklich?" oder: "Woran erfreust du dich an deinem Pferd am meisten?" und vielleicht auch "Welche Botschaft, welches Geschenk hat dein Pferd für dich? Und womit beschenkst du dein Pferd?" – Hast du Antworten darauf gefunden? Teile sie gerne unten in den Kommentaren. ♥
Margot Wolf (Mittwoch, 18 November 2020 10:47)
Toller Text, weise Worte <3
Ich bin sehr bei Dir – auch ohne Pferdehalterin zu sein <3
Danke für deine wertvolle ‚Arbeit‘ <3
Jessica Freymark (Dienstag, 17 November 2020 22:31)
Tolle und wichtige Gedanken liebe Heike! Ich habe auch lernen dürfen dort genau hinzuschauen - warum will ich das alles mit meinem Pferd machen? Mein Eldur war damals ja auch eher einer, der Nein gesagt und nicht so funktioniert hat wie andere Pferde. Früher habe ich mich oft darüber geärgert. Bis ich begriffen habe, dass ich ihn gerade deshalb so liebe weil er eben anders ist, eine eigene Meinung hat und diese auch vertritt. ;-)
Heute liebe ich es einfach nur mit den Pferden Zeit zu verbringen und bin glücklich, wenn ich einfach nur bei Ihnen sein darf. Und ganz oft gehe ich mit der Frage hin, was Ich Ihnen Gutes tun kann. Es ist für mich pures Glück, wenn eines der Pferde aktiv zu mir kommt um mich zu bitten es an einer bestimmten Stelle zu kraulen oder eine Energiesession möchte.
Manchmal, gerade wenn andere Menschen zuschauen könnten, falle ich noch ins Ego zurück und will zeigen was ich tolles mit meinem Pflegepferd machen kann. Mal funktioniert es, mal nicht. Tatsächlich macht es mich aber nicht glücklicher als diese kleinen Momente purer Verbindung, wenn wir alleine auf der Weide sind. :-)
Liebe Grüße auch an Sharoom ;-)
Jessica