In den vergangenen Tagen bin ich gleich zwei Mal Zeugin der Macht unserer unbewussten Bilder und Gedanken im Zusammensein mit unseren Pferden geworden. So offensichtlich, klar und deutlich, dass ich heute einen Blogartikel darüber verfassen muss. Wenn du dich in dem einen oder anderen Beispiel wiedererkennst oder gar ertappt fühlst – super! Herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis. Sie ist der erste Schritt hin zu einem bewussteren Umgang mit den Anteilen, die im Verborgenen in dir schlummern.
Was "drohendes Unheil" in uns anrichtet
Vielleicht hast du das auch schon einmal erlebt: Ein „großes Ereignis“ mit deinem Pferd steht bevor. Es ist irgendwie unsicher, ob alles gut gehen wird. Eine gleiche oder ähnliche Situation ist in der Vergangenheit schon einmal aus dem Ruder gelaufen. Eine seltsame Energie wabert durch die Luft, möglicherweise nur wahrnehmbar für diejenigen, die ein feines Gespür besitzen. Eines ist klar: In deinem Unterbewusstsein wirbeln bereits die wildesten Bilder und Gedanken umher. „Das geht niemals gut!“, „Das hat noch nie geklappt!“, „Was, wenn mein Pferd wieder steigt / tritt / sich losreißt?“. Du fühlst Anspannung, Nervosität und Unruhe in dir aufsteigen. Äußerlich bist du vielleicht noch ruhig, oder aber es zeigen sich schon erste Stresssymptome. Du wirst eventuell hektisch, unkonzentriert, schusselig. Du kaust an deinen Fingernägeln, oder du spürst eine innerliche Hitze aufsteigen. Vielleicht frierst du auch ein und wirst handlungsunfähig. Damit sind wir schon mittendrin im Geschehen. Was glaubst du, wie die Situation ausgehen wird?
Aller Voraussicht nach nicht so positiv, wie du dir das gerne gewünscht hättest. Deine unbewussten Gedanken und die Bilder in deinem Kopf werden von deinem Pferd wahrgenommen. Es versteht nicht, weshalb du angespannt, nervös und unruhig bist. Es bemerkt nur: Hier ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung! Und das gefällt deinem Pferd nicht. Deine Energie überträgt sich. Die Situation geht schief. Wie bei einer selbsterfüllenden Prophezeiung stellst du fest: „War ja klar, dass das (wieder) nix wird!“ Oder du gehst sogar in die Verurteilung: „Der blöde Gaul macht nie was man ihm sagt!“ oder „Jetzt hab ich das schon wieder nicht hinbekommen. Ich bin ein Versager!“
Ereignisse wie diese laufen tagtäglich hundertfach in den Reitställen ab. Mal im Kleinen ohne wirklich merkbare Auswirkungen, mal im Großen mit massiven Schäden für Mensch und Tier.

Ein solch „großes Ereignis“ kann alles Mögliche sein: eine Kursteilnahme, ein Verladetraining, ein Besuch vom Tierarzt, ein Termin beim Hufschmied, ein Spaziergang im Wald. Was „groß“ oder eben außergewöhnlich für dich und dein Pferd ist, entscheidet kein anderer, Außenstehender. Alleine deine subjektive Wahrnehmung bestimmt darüber, ob du – bewusst oder unbewusst – Stress bekommst oder nicht.
Bin ich Schuld, wenn es nicht klappt mit meinem Pferd?
Dennoch – es nicht etwa deine Schuld, wenn eine Situation schief gegangen ist. Es geht nicht um Schuld, so etwas wie Schuld gibt es nicht. Es geht darum, dir deiner unbewussten Programme, Gedanken und Bilder bewusst zu werden und anzuerkennen, welchen Einfluss und welch kraftvolle Macht sie auf dein Tun und den Ausgang einer Situation haben.
In Situation Nummer Eins, die ich kürzlich erlebt habe, war es ein Termin beim Hufschmied der den Pferdebesitzer völlig aus seinem inneren Gleichgewicht gebracht hatte. Bereits als der Mensch mit seinem Pferd in der Stallgasse erschien, waren Aufregung und Stress von Seiten des Menschen spürbar. Es kam wie es kommen musste. Das Pferd wusste nicht, wie ihm geschieht, alle Nervosität übertrug sich und es katapultierte seinen Menschen mit einem gezielten Stoß in die Ecke, als dieser versuchte ein Bein aufzuheben. Der Termin wurde abgebrochen. Die war das einzig Vernünftige, was in so einem Fall getan werden konnte! Es hätte keinerlei Sinn gemacht, Pferd und Mensch in diesem Zustand zu irgendetwas zu zwingen.
Obwohl ich mich selbst als hochsensibel bezeichne ist mir klar: Wenn ICH schon die Energie meines menschlichen Gegenübers so deutlich spüre, dass es mich total aus der Bahn reißt und ich nicht mehr weiß, wie mir geschieht – wie muss sich dann erst das Pferd fühlen, das ja eine noch weitaus feinere und sensiblere Wahrnehmung besitzt als ich Mensch? So kraftvoll wirken unsere im inneren aufsteigenden Bilder und damit verbundene Ängste.
Mein Aha-Erlebnis zum Thema innere Bilder
Die zweite Situation hat mir dies nochmals verdeutlich, denn hier war ich selbst es, die sich noch einmal bewusst werden durfte über ihre inneren Bilder. Ich stand mit Sharoom an unserem üblichen Putzplatz. Er war wie immer angebunden an einer Stange. Ich unterhielt mich mit einer Freundin über die Macht unserer unbewussten Bilder und Gedanken. Tatsächlich! Ich erzählte ihr davon, wie Sharoom sich früher immer mal wieder am Putzplatz in sein Halfter gehängt hat. Wie er rückwärts zog und Panik bekam. Wie ich eines Tages hilflos neben ihm stand, weil ich ihn nicht losmachen konnte und wir ihn nur zu zweit aus seiner misslichen Lage befreien konnten. Wie ich mich danach wochenlang nicht getraut habe ihn festzubinden. Wie ich umständlich um ihn herum putzte, als ich es dann doch mal wieder getan habe, damit ich ihn zur Not immer von hinten nach vorne treiben konnte, falls er wieder rückwärts ziehen würde. Kurzum: ich war voll in der Vergangenheit, voll in der Emotion von damals und voll von unschönen, alten, inneren Bildern.
In diesem Moment schupste mich Sharoom von hinten an, und weil er das zuvor schon einmal gemacht hatte, korrigierte ich ihn kurz aber sehr deutlich, ohne mich ihm wirklich zuzuwenden. (Auch ein Fehler, denn er hat mich zu Recht geschupst, weil ich mit meiner Aufmerksamkeit nicht bei ihm war!) Womöglich wollte er nur fragen, was los ist, weil er meine Anspannung fühlen konnte.
Rate mal, was dann passiert ist? Meine „Maßregelung“ gepaart mit meiner inneren Anspannung und den schrecklichen Bildern in meinem Kopf hat dazu geführt, dass Sharoom nicht mehr wusste wie ihm geschieht und was er tun sollte. Er hat – aus seiner Sicht völlig zu Recht – überreagiert, rannte rückwärts und hängte sich ins Halfter bis der Karabiner platze. Kein Scheiß, true story! Seit über einem Jahr hatte er sich kein einziges Mal ins Halfter gehängt. Und nun das! Meine inneren Bilder hatten ihn genau dazu verleitet! Ich wusste sofort warum das passiert ist und worauf mich das Leben aufmerksam machen möchte: Achte auf deine Gedanken und inneren Bilder! Bleibe nicht in der Vergangenheit haften!
Wie die Vergangenheit unsere Gegenwart beeinflusst
Denn auch das passiert uns ganz oft. Bewusst oder unbewusst bleiben wir immer wieder in der Vergangenheit hängen oder wir reisen immer wieder gedanklich dorthin
zurück. Meistens in die Situationen, die besonders schlimm oder schrecklich für uns waren. Immer wieder gehen wir dorthin zurück, sinnieren darüber, was uns Böses angetan wurde oder was wir
Missliches erlebt haben. Wie Masochisten baden wir in diesem Strudel aus niedrigschwingenden Emotionen. Wir verseuchen uns immer wieder selbst damit und wundern uns dann darüber,
dass wir in der Gegenwart keine anderen, neuen, besseren Erfahrungen sammeln und nicht einfach glücklich und zufrieden sind mit unserem Pferd. Ganz schön schräg, wenn man mal darüber nachdenkt,
oder nicht? Wie soll das Hier und Jetzt psoitiv sein, wenn du in einer negativen Historie hängst?

Es geht nicht darum, negative Emotionen zu verdrängen oder ganz tief ins Unterbewusstsein zu schieben. Sie wollen gesehen und bewusst wahrgenommen werden. Dann ist irgendwann aber auch mal gut. Wir müssen sie nicht immer wieder hochholen, reaktivieren und ihnen so die Macht über uns und den Umgang mit unserem Pferd abtreten.
"Mein Pferd reißt sich los - was tun?"
Ich habe noch ein weiteres Beispiel für dich:
Angenommen du hast ein Pferd, dass sich immer mal wieder losreißt. Vielleicht wenn du es auf die Koppel bringst, vielleicht beim Gang auf den Reitplatz oder im Gelände. Möglicherweise rempelt dich dein Pferd dabei auch noch an, oder es schubst dich um oder zieht dich hinter sich her.
Beim ersten Mal ist dein Pferd vielleicht vor etwas erschrocken oder es hatte einfach noch kein richtiges Führen und Folgen gelernt. Und dann passierte es wieder, und wieder, und wieder.
Das Verhalten deines Pferdes führt dazu, dass du dir immer mehr, immer öfter Sorgen machst: "Wird es sich heute wieder losreißen? Kann ich es heute halten? Behalte ich die Kontrolle?" Diesen mehr oder weniger bewussten Gedanken geht aber schon eine ganze Spirale an unbewussten Gedanken und Verhaltensweisen voraus. Unser Bewusstsein macht nur einen ganz minimalen Prozentsatz unserer Existenz aus, der Rest von uns sind unbewusst ablaufende Systeme. Vergleichbar mit einem gigantischen Eisberg, dessen sichtbare Spitze nur ein minimaler Prozentsatz dessen ist, was er in seiner Gesamtheit darstellt. Der größte Teil verbirgt sich unter der Wasseroberfläche.
Unsere Pferde lesen in uns und in unserem Unterbewusstsein wie in einem offenen Buch. Und sie reagieren auf unser Unbewusstes. Wir selbst dagegen müssen oft ganz schön in die Tiefe bohren, bis wir an unser Unterbewusstsein gelangen und unsere unbewussten Anteile enttarnen. Diese zum Teil sehr mühevolle Arbeit ist aber ein Schlüssel zu einem bewussteren Umgang mit unserem Pferd und uns selbst. Wert ist sie es allemal. Probleme oder unerwünschte Verhaltensweisen beim Tier können teilweise allein dadurch gelöst werden, dass ich hinabtauche zu diesem großen Teil meines unbewussten Eisbergs und mir ein Stückchen davon an die Wasseroberfläche hole. Beispielsweise durch genaues reflektieren, analysieren, enttarnen und auflösen meiner Muster und Abläufe, meiner Gedanken und Glaubenssätze.
Im Falle des sich losreißenden Pferdes kannst du folgendermaßen starten: Beobachte sehr genau deine Gedanken, wenn du mit deinem Pferd zusammen bist. Rufe dir ins Bewusstsein, was bisher unbewusst und im Verborgenen abgelaufen ist.

Oft sind wir im Kopf schon einige Schritte weiter, als es unser physischer Körper ist. Oder wir hängen in der Vergangenheit fest. Oder eben beides gleichzeitig! Du denkst zum Beispiel: „Da vorne an der Ecke, da reißt er / sie sich bestimmt wieder los, genau wie letztes Mal.“ Dabei haben wir es gleich mit einer Kombination aus beidem zu tun. Im Kopf bist du bereits „vorne an der Ecke“ obwohl du dich mit deinem Pferd rein körperlich noch gar nicht dort befindest, sondern einige Schritte oder Meter entfernt. Für das Pferd macht das keinen Sinn. Pferde sind Meister darin, im Hier und Jetzt zu sein. Ihren Weg wirklich dermaßen „vorausplanen“ müssen sie quasi nur auf der Flucht, und auch dort immer nur einige hundert Meter. Unbewusst signalisierst du deinem Pferd also, dass es jetzt wohl besser wäre vorne an der Ecke zu sein - und zwar schnell!
Der Gedanke „genau wie letztes Mal“ weist darauf hin, dass du andererseits gedanklich in der Vergangenheit hängst. Auch das kennen Pferde nicht auf diese Weise. Vergangenes ist für sie vergangen. Die Verknüpfung mit der vergangenen Situation ruft Bilder in deinem Unterbewusstsein hervor. Nämlich die Bilder an dein sich losreißendes Pferd. Dein Pferd liest dein Unterbewusstsein und deine Bilder. Es nimmt deine Anspannung wahr und bemerkt: irgendetwas stimmt hier nicht! Auf diese Unsicherheit reagiert dein Pferd wie es für ein Fluchttier üblich ist - es entscheidet sich zu gehen.
Das Aufspüren unbewusster Bilder und Gedanken als Problemlösungsansatz
Du kannst mit deinem sich losreißenden Pferd über Wochen und Monate trainieren, du kannst Ausrüstung aufrüsten und du kannst dir Unterstützung holen - nichts davon ist falsch! All das kann im Prozess sehr hilfreich sein, damit dein Pferd und du wieder Sicherheit gelangen. Zum Kern des Problems und damit auch zu einer Lösung und zu einem Durchbruch kommst du in dem Moment, in dem zu lernst zu dir zu schauen, dein Unbewusstes wahrzunehmen und neue Gedanken und Bilder zu kreieren.
Denn hast du dir deine Gedanken und inneren Bilder erst einmal ins Bewusstsein geholt, kannst du sie sogar gezielt nutzen, um das Zusammensein mit deinem Pferd positiv zu beeinflussen. 3 Tipps für echte Glücksmomente mit deinem Pferd durch die Kraft der Gedanken findest du in gleichnamigen Blogbeitrag von Jessica Freymark, der achtsamen Pferdefotografin.
Selbstverständlich ist es sinnvoll, dass du dich in diesem Prozess unterstützen lässt. Wir können uns unmöglich selbst auf die Schliche kommen. Oft bemerken wir
unsere innere Anspannung gar nicht. Oder wir spielen sie herab. Eine Begleitung vor Ort oder eine Online-Begleitung kann dir helfen, dich deiner inneren Bilder und Gedanken bewusst zu werden und ihnen die Macht über dich
und das Zusammensein mit deinem Pferd zu nehmen. Ermächtige dich selbst! Ich unterstütze dich von Herzen gerne dabei. Schreib' mir einfach eine Nachricht.
Sonja (Samstag, 19 September 2020 21:10)
Liebe Heike,
meinen tiefen Respekt für dein Feingefühl. Das ist ein toller Artikel und du hast so recht, Pferde lesen uns, unsere Gedanken, Bilder . Sie sind so sensibel, sie spüren jede Emotion, oft bevor sie uns bewusst wird. Danke für diesen schönen Beitrag.
Anneke ter Veen (Samstag, 19 September 2020 20:19)
Liebe Heike, was für ein wundervoller Artikel. Ich habe mir schon oft Gedanken gemacht, ob die inneren Bilder wirklich beim Pferd ankommen und auch schon oft mit meiner Pferdefreundin drüber gesprochen. Ist schon echt krass und auch toll, wenn es einem möglich ist, diese inneren Bilder zu kontrollieren.
Manchmal.passiert dieses magische mit den inneren Bildern, bzw. Inneren Fragen, wenn ich meine Gäste interviewe. Dann antworten sie auf das, was ich gerade gedacht habe. Sehr cool und danke!
Ursula (Dienstag, 12 Mai 2020 14:35)
So ein schöner Beitrag...Ich danke dir dafür, Frau Vielgefühl mit Feingefühl.
Kathrin (Dienstag, 12 Mai 2020 13:01)
Liebe Heike,
so anschaulich beschrieben. Danke. Ich besitze kein Pferd, doch ich kenne das, was Du schreibst, aus anderen Situationen in meinem Leben. Und ja, wenn wir uns unserer Selbst bewusst werden und unser Unbewusstes mit hochschwingenden Bildern füttern, dann verändert sich wirklich unser Leben.
Welch wunderbare Lehrmeister die Pferde Euch doch sind :-) Wie wertvoll, dass Deine Arbeit hier einen so neuen und lebendigen Blickwinkel besitzt.
Herzliche Grüße, Kathrin